Ausblick mit Maske
Die aktuelle Makro-Situation zeichnet sich durch große Unsicherheit hinsichtlich der weiteren Entwicklung aus. Zu viele Ereignisse sind ohne historische Vorbilder.
Ausblick
Einen weltweiten Shutdown gab es bisher nicht und Erfahrung, wie die Öffnung danach funktioniert, welche Probleme sie hat und wie sich all das auf die Wirtschaft mittel- und langfristig auswirkt, ist schlicht nicht vorhanden. Das Gleiche gilt für die Gegenmaßnahmen der Notenbanken. Auch hier gibt es keine historischen Vorbilder und dementsprechend aufgrund fehlender Erfahrung auch keine einfachen Antworten.
Das Dilemma für alle Beobachter brachte Howard Marks diese Woche bei CNBC auf den Punkt. Natürlich könne die US-Notenbank alle Amerikaner zu Millionären machen, sagte er. Auf dem Papier ist das möglich. Welche direkten Konsequenzen das habe? Er wisse es nicht. Was er wisse sei, dass ein Kursanstieg von über 10 % schon absolut ausreiche, ihn wieder vorsichtiger zu machen bezüglich der weiteren Entwicklung. Er sei pessimistisch und das sei absolut begründet.
Ebenfalls pessimistisch ist wohl auch das Führungsteam von Berkshire. Journalist Jason Zweig vom Wall Street Journal berichtete am Wochenende über sein Telefonat mit Charlie Munger, dem Geschäftspartner von Warren Buffet. Munger erklärte, Vorsicht sei wichtiger als Aktion. Aktuelle Käufe von Aktien erwähnte Munger nicht. Dies stellt einen großen Unterschied zur Finanzkrise 2008/2009 dar, als mit beiden Händen Geld ausgegeben wurde, um Aktien günstig zu erwerben. Die Long-only-Propheten trommeln derzeit zwar für Aktien, aber das Argument „investieren wie Buffet“ fällt vorerst aus.
Munger sagte: “This thing is different. Everybody talks as if they know what’s going to happen, and nobody knows what’s going to happen. … I don’t think we’ll have a long-lasting Great Depression. I think government will be so active that we won’t have one like that. But we may have a different kind of a mess. All this money-printing may start bothering us.”
Unmögliches passiert – negative Preise bei Öl
Die volle negative Tragweite der aktuellen Krise ist bei weitem noch nicht bei den Menschen angekommen. Wer hätte geglaubt, dass der Ölpreis auf minus fast USD 40 – also weit unter Null – fallen kann? Und es ist nicht davon auszugehen, dass der Ölpreis bereits seinen Tiefpunkt erreicht hat. Negative Preise waren erstmals beim als Nächstes im Mai zu bedienenden Futures-Kontrakt vom Markt gesetzt worden. Länger laufende Futures haben derzeit noch höhere Preise. Der Kurs des Juni-Futures rutschte bereits ab. Das kann sich bis hinein in die längeren Laufzeiten fortsetzen. Die Freude über billiges Benzin wird schon bald vom Schrecken abgelöst werden, wenn klar wird, warum der Preis so tief gefallen ist. Der Shutdown lässt grüßen.
Derartige Ereignisse sind kein gutes Zeichen und in großen Krisen passieren Dinge, die das Publikum für unmöglich gehalten hat. Die schlechten Nachrichten werden sich fortsetzen und die Stimmung der Marktteilnehmer wird dies noch deutlich negativ beeinflussen.
Problemlage anders als 2008 oder nach der Jahrtausendwende
Im Unterschied zu früheren Krisen handelt es sich nicht um ein Ereignis, das aus einem ökonomischen Ablauf heraus entstanden ist. Keine euphorische Hausse, die in einem Scherbengericht endet wie früher schon so oft, sondern ein weltweiter Stillstand aufgrund eines externen Ereignisses.
Hieraus zu schließen, dass nach teilweiser oder vollständiger Überwindung des Virusproblems die Wirtschaft einfach weiterläuft wie zuvor, erscheint sehr optimistisch. Die Probleme des Shutdowns für die weltweite Arbeitsteilung sind vielfältig.
Hierfür ein kleines Beispiel: Die derzeitigen Reisebeschränkungen verhindern den Austausch der Schiffscrews weltweit. Jeden Monat verlassen rund 100.000 der insgesamt 1,2 Millionen Crewmitglieder ihre Schiffe. Es wird befürchtet, dass die Gesundheit der Crews durch den fehlenden Austausch massiv beeinträchtigt wird. Schwere Unfälle können die Folge sein. Dass zusätzlich negative Auswirkungen für den Welthandel resultieren können, ergibt sich von selbst. Kannten Sie dieses Problem bereits? Ich kenne die Schifffahrt ganz gut, aber daran habe ich überhaupt noch nicht gedacht. Von ähnlichen negativen Überraschungen ist auch in vielen anderen Lebensbereichen auszugehen.
Die optimistische Annahme, dass es nach der Krise einfach an der Stelle weitergeht, wo vor der Krise gestoppt wurde, ist eine Illusion. Auch im Shutdown hat die Welt sich weitergedreht. Menschen, Unternehmen und Staaten passen ihre Dispositionen an und darauf müssen andere ebenso wieder reagieren. Bei Fluggesellschaften wird von Analysten erwartet, dass es bis 2023 dauert, um das Geschäftsvolumen des Jahres 2019 wieder zu erreichen. Nicht alle Branchen sind schon jetzt so hart getroffen, wie Luftfahrt und Reisegewerbe. Aber freuen Sie sich nicht zu früh, wenn Sie in anderen Sektoren tätig sind: Die Dominoeffekte kommen erst noch.
Nehmen wir als Beispiel einfach nur die Frage, wie eigentlich die Mittelmeerländer finanziell klarkommen sollen, wenn nach dem Wegfall der Geschäfte in Q2 auch noch das Sommergeschäft auf nur stark reduziertem Niveau stattfinden wird – wovon auszugehen ist. Die Amerikaner nennen so etwas „double whammy“: doppelter Tiefschlag. Den wird die EU verkraften müssen. Ob sie sich davon auch erholt oder k. o. geht, bleibt abzuwarten. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass die Devisen- und Anleihemärkte sich mit diesem Thema zeitnah beschäftigen werden. Dass das die Finanzierung der riesigen Hilfspakete erleichtert, ist nicht anzunehmen. Der Stress an den Märkten wird schon bald wieder zunehmen.
Noch wichtiger als die Finanzierung der Hilfspakete ist etwas anderes: das Vertrauen in die verschiedenen politischen und finanziellen Systeme, in und mit denen wir leben. Der Test, ob dieses Vertrauen erhalten bleibt, steht noch bevor. Die Fragen, die beantwortet werden müssen, sind vielfältig. Einer Frage wird die Politik nicht ausweichen können: Wie wird das alles bezahlt und von wem? Wenn herumlaviert wird, werden die Menschen mit den Füßen abstimmen und ihr Kapital, ihre Ideen, Energie und Arbeitskraft an die Standorte verlagern, die die plausibelsten Antworten bieten.
Einen weiteren Vorgeschmack liefert gerade die Debatte über die Grundrechtseinschränkungen. Seuchenermächtigungsgesetz oder Gesundheitssozialismus wird das Verhalten der Exekutiven der verschiedenen Länder in der Presse bereits genannt. Die Schockstarre der Judikative wird so nicht weitergehen können. Die Richter können sich angesichts der de facto Aussetzung der Gewaltenteilung nicht dauerhaft wegducken. Erheblicher Konfliktstoff tritt hier zu Tage, der voll durchschlägt, wenn die Abrechnung der Corona-Rettungsaktionen auf den Tisch kommt. Wer glaubt, dass es bei diesen Fragen um Viren geht, liegt völlig schief. Es geht um die Frage, wie wir zukünftig leben wollen und werden und ob das, was wird, dem entspricht, was wir wollen. Der Virus ist da nur der Kurzschluss, der zum Brand geführt hat. Viele Regierungen machen den Eindruck, dass sie völlig in ihre neu gewonnene Machtfülle verliebt sind und sich darin gefallen, selbst kleinste Details vorzuschreiben. Wenn den Menschen Kleinigkeiten vorgeschrieben werden, die sich anfühlen wie Verordnungen zum Binden der Schuhe, dann wird klar, dass die Politik etwas Wichtiges aus dem Blick verloren hat: „Trade is older than the state“ und ohne Eigeninitiative und den dafür notwendigen Freiraum können Wirtschaft und Wohlstand, aber auch Kultur und Vielfalt nicht gedeihen.
Zweite Virus-Welle
Ein weiterer Aspekt, der nicht unterschätzt werden darf, ist das Problem, dass die Pandemie tückisch verläuft und negative Entwicklungen auslösen kann, die dazu führen, dass es viel länger dauert, bis das Leben wieder halbwegs normal verläuft. Gerade in einer solchen Situation ist damit zu rechnen, dass die Märkte sehr negativ reagieren und die Hürde zum finanziellen Überleben für alle stark ansteigt: für Staaten, Unternehmen und Privatpersonen.
Analog dazu ist auch eine zweite Problemwelle, die dann viel stärker den Finanzsektor trifft, überhaupt nicht vom Tisch. Die starke Erhöhung der Drohverlustrückstellungen der großen US-Banken in der letzten Woche rückte dieses Thema bereits in das Scheinwerferlicht. Die starken US-Banken werden gleichwohl weniger Probleme haben. Der europäische Finanzsektor hat die Nachwehen der Krise 2008/2009 bis heute nicht wirklich überwunden und ist deshalb viel schwächer positioniert.
Welche politischen Spannungen sich daraus ergeben werden, dass die westlichen Regierungen anfangen, das Märchen vom tollen Krisenmanagement in China anzuzweifeln, bleibt ebenfalls abzuwarten. Der Stopp der WHO-Finanzierung war da nur der Anfang. Trump braucht vor der Wahl dringend Schuldige und die üblichen Verdächtigen sind bekannt.