Lieber Herr Littger, wir verunglimpfen die Engländer nicht als Freibeuter, sondern sehen eher das Phoenix-Potential in 2020
Schon als Mayor of London war Boris unbootmäßig unterwegs | Shutterstock #430581442
Peter Littger vertritt in seiner Kolumne am 30. Dez. 2019 auf n-tv.de „Die Freibeuter von der Insel | So sieht der neue Kurs der Briten aus“ die Auffassung, dass „Johnsons Strategie eines globalen britischen Freibeutertums bewusst auf Irreführung, Intransparenz, Zwist – nach innen wie nach außen [zielt] … Boris Johnson ist ein Lügner – the Lord of the Lies“.
Ist Boris ein Lügner?
Dass Boris Johnson seine Strategien und Methoden nicht so wählt, wie es das Establishment in Brüssel oder Berlin gerne hätte, das ist klar – und mögen muss man seine Vorgehensweisen auch nicht. Es ist aber auch klar, dass der Brexit den Engländern bereits viel abverlangt hat und vielleicht noch mehr abverlangen wird. Wenn dabei die Teile der Bevölkerung vor den Toren Londons und „up north“, die zu den besonderen Brexit-Befürwortern gehört haben, nicht unbedingt auch die Gewinner sein werden, wäre das keine Überraschung.
Andererseits ist der Brexit aber auch eine typisch europäische Angelegenheit. Seit Jahrhunderten wechselte die Vormachtstellung: von Portugal und Spanien über Holland und Skandinavien über Wien, Berlin und Paris – London nicht zu vergessen (ohne den Anspruch der Aufzählung auf Vollständigkeit) – bis dahin wo sie heute vermeintlich liegt: in Brüssel.
Logik, Stärke und Erfolg Europas liegen auch darin begründet, dass Länder ganz unterschiedlicher Prägung so eng aneinander liegen, dass Reibungsprozesse entstehen, die ohne diese Nähe und das lange wechselseitige Kennen über Generationen nicht erklärbar wären. Beim Brexit handelt es sich um ein solches Phänomen.
Die Mobilität der Menschen – früher waren sie ja nicht mal Bürger – war schon immer hoch. Die fehlende Bereitschaft, Ausgabenträume der Regierenden zu finanzieren oder für sie in blutige Kriege zu ziehen, schuf nicht nur den Protestantismus, führte zum Auszug der Hugenotten und bevölkerte Amerika – sie war immer auch der Motor für den Fortschritt. Denn die mobilen Habenichtse konnten nur durch Know-how und Innovationen etwas gewinnen.
Und jetzt der Brexit – ist das nicht ein Rückschritt?
Aus Sicht der Etatisten und Staatsgläubigen: ein klares Ja. Wir halten es eher mit den Kaufleuten, die darunter leiden, dass sie oft die Zeche zahlen müssen, und sagen mit Friedrich von Hayek: „Trade is older than the state“.
Und genau dieser Gegensatz wird durch den Brexit scheinbar ausgetragen – jedenfalls in den Medien. In Wirklichkeit ist es wohl doch eher ein Machtkampf unter den Regierenden.
Die Entwicklung, dass Brüssel an Stärke gewinnt, passt den meisten Ländern einfach nicht. Schon im Heiligen Römischen Reich, das über mehr als zehn Jahrhunderte währte, war es gängige Praxis, den Schwächsten zum Kaiser zu machen. Die Engländer sind in ihre Historie verliebt – ob es ihnen hilft, steht auf einem anderen Blatt. Aber sie haben eben auch viele Sympathisanten in Europa, die alle ein starkes Brüssel nicht wollen. Und so monolithisch wie es manchmal dargestellt wird, ist Europa ja ohnehin nicht. England oder, wenn es zusammenbleibt, das UK ist mit Brexit einfach eine weitere Variante unter vielen.
Da die Inseln jenseits des Ärmelkanals nicht verlegt werden können, werden die Engländer in Europa bleiben. Und die Tatsache, dass der Großteil der Länder des ehemaligen Commonwealth weniger Umsatz mit dem Vereinigten Königreich macht als zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, wird auch Bestand und faktische Auswirkungen haben.
Wo kommt dann der Phoenix in 2020 her?
Reversion to the mean – Rückkehr zum Durchschnitt. Anders gesagt: Der Weltuntergang wegen Brexit ist abgesagt. Schauen Sie sich beispielsweise Aktien im STOXX EUROPE 600 Real Estate Index an:
Natürlich gibt es auch Immobilienaktien in Großbritannien, die sich nicht so schlecht entwickelt haben wie der Shopping-Center-Betreiber Hammerson. Aber Land Securities als klassische Immobilienaktie zeigt, wie enorm der Bewertungsabstand zu beispielsweise Deutschland in den letzten Jahren angestiegen ist, seitdem der Brexit ein Thema ist, welches die Investoren verunsichert.
Ähnliche Beobachtungen ergibt auch der Vergleich der Entwicklung bei Small und Mid Caps, die ebenfalls stark unter dem Brexit gelitten haben, weil der Anteil der internationalen Einnahmen tendenziell eher geringer ist als bei den Gesellschaften des FTSE 100. Die Bewertungsabschläge der Gesellschaften aus dem UK enthalten natürlich auch den Effekt der Abwertung des Pfunds. Der war erheblich.
Insgesamt war es einfach so, dass in Zeiten passiver Anlage viele Investoren sich dafür entschieden haben, bei der Allokation um Großbritannien wegen des Brexit einfach einen Bogen zu machen. Da das Gewicht im weltweiten Maßstab bei deutlich unter 10 % liegt, war dies problemlos möglich und die Kurseffekte waren entsprechend brutal. Die Bäume der UK-Bären wachsen aber auch nicht in den Himmel. Wenn diese Entwicklung in 2020 auch nur in Teilen zurückgedreht wird, reicht das für den Status des Phoenix völlig aus.
Was sagt unser Freund Larry McDonald von The Bear Traps Report dazu?
Er zitiert die Aussagen von Henry Druckenmiller zu 2020. Alle nenne ich hier nicht, aber eine schon: Druckenmiller ist auch bullish für Assets im UK in 2020. Und Larry McDonald teilt seine Ansicht explizit. Er ist seit Monaten bullish für Großbritannien – wie wir auch – und bleibt für 2020 dabei.
Deshalb sollte der Anteil der Assets im UK hochgefahren, derjenige bei hoch bewerteten US-Technologiewerten aber eher überdacht werden. Und auf der Devisenseite ist damit zu rechnen, dass das „Kabel“ (GBP/USD) steigt. Anders gesagt: Der US-Dollar könnte für Anleger in EUR oder CHF eher zum Gegenwind werden – anders als in den letzten Jahren. Steigende Rohstoffpreise gingen in den Jahren 2004 bis 2007 mit einem fallenden Dollar einher. Das kann sich absolut wiederholen, wenn es nicht zum heißen Nahostkrieg kommt.
Der Euro wird wohl stärker, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem Salvini wieder an die Macht in Italien zurückkehrt. Dann wird neu gemischt – nicht nur am Devisenmarkt.