Brexit – die Ereignisse
Die Ereignisse der letzten Tage halten Politik, Wirtschaft und Börsen in Atem. Der Brexit ist nicht nur ein Weckruf für Brüssel. Die Börsenentwicklung zeigt auch, dass investieren mit dem so hoch geloben Schwarm ziemlich schief gehen kann und aktives Risikomanagement wichtig ist, um derartige Situationen ohne katastrophale Auswirkungen auf das investierte Kapital zu überstehen.
Der Vorlauf
Die Ermordung von Joe Cox in der letzten Woche schien den Siegeszug der Brexit-Befürworter gestoppt zu haben. Alle sahen die Umfragen und viele sagten dann mit Verschwörermiene dazu, dass die Buchmacher ja ganz andere Quoten stellen würden und deshalb sei klar, dass der Brexit nicht komme.
Der Brexit als Kaufgelegenheit des Jahres machte langsam die Runde. Unklar war aus Sicht der meisten nur: vor dem Referendum oder danach kaufen?
Es gab allerdings auch andere Stimmen die sagten, der Ausgang sei nicht prognostizierbar, weil zu knapp.
Risikomanagement
Wie im letzten Bericht geschrieben, hatten wir Ende Mai bereits die Kassequote auf 25% erhöht und begannen am Montag, den 13. Juni, das Portfolio auch mit Futures abzusichern, um uns gegen weitere Kursrückgänge zu wappnen. Kasse und Absicherung dimensionierten wir so, dass der Fondspreis bei steigender Börse trotz Absicherungskosten gleich blieb.
Unsere vorsichtige Haltung im Vorfeld des Referendums basierte auf folgenden Überlegungen:
1. Der Markt begann bereits am Tag nach der Ermordung von Joe Cox Bremain einzupreisen.
2. Unsere Erwartung war, dass nach einer Entscheidung für Bremain das bekannte Börsenphänomen „Sell on good news“ auftreten würde – zumindest würden danach die Kurse nicht mehr signifikant steigen – das wurde mit jedem Tag klarer, denn sie stiegen ja vorher.
3. Die Auswirkungen eines möglichen Brexit auf die Börsen wurden auch klarer: wenn alle Welt auf Bremain spekuliert, muss bei Brexit der Markt fallen.
4. Damit war klar: egal ob Brexit oder Bremain, am Tag nach dem Referendum war eher mit Kursrückgängen als Kursgewinnen zu rechnen.
5. Wir wetten unser Haus nicht auf Bremain oder Brexit. Wir wollen – egal was passiert – vernünftig durch die Unsicherheit hindurch kommen. Das verstehen wir unter Kapitalerhalt. Deshalb wollten wir die Kurssicherung trotz steigender Kurse und damit verbundener Kosten soweit wie möglich aufrecht erhalten.
6. Ab Dienstag begannen wir außerdem, bei zahlreichen Positionen Kursgewinne zu realisieren, um die Kassequote weiter auszubauen.
Ergebnis
Am Tag vor dem Referendum waren wir nur noch zu 71,6% in Aktien investiert. Außerdem hatten wir eine Kurssicherung, die 27% des Portfolios ausmachte. Die ungesicherte Aktienquote lag damit nur noch bei 45% des Fondsvolumens.
BREXIT – Die Ereignisse am Kapitalmarkt
Bereits nachts um 1:30 fing das Pfund an zu fallen, weil erste Wahlresultate nicht in die allgemeine Bremain-Erwartung passten. Um 5:30 war klar: IN hatte gegen OUT verloren.
Bis 6:29 war das britische Pfund auf 1,32 zum US-Dollar gefallen. Gegenüber dem Vortagesschluss von 1,50 war das ein Absturz um 12%. Das hört sich vielleicht nicht so viel an, aber im Devisenmarkt sind das Kontinentalverschiebungen.
Bis zum Börsenschluss am Freitagabend erholte sich das Pfund auf 1,36 – was immer noch einem Absturz von -8,9% bedeutete.
Abgeleitet von den Futurespreisen an der Eurex fiel wenige Minuten nach Handelsbeginn um 8:00 Uhr die Indikation der Deutschen Bank für den DAX auf das Tagestief von 9.169. Das war ein Rückgang um fast 1.200 Punkte oder 11,5% gegenüber dem Schluss der Futuresbörse EUREX am Vorabend um 22:00 Uhr.
Im Tagesverlauf erholte sich der Markt. Die US-Märkte stiegen zunächst, schlossen dann aber um 22:00 Uhr unserer Zeit in der Nähe des Tagestiefs. Da Wall Street meist in der letzten Handelsstunde den Takt für die Weltbörsen vorgibt, bedeutet das zumindest, dass die ganze Sache noch nicht vorbei ist.
Fondspreis
Die Preise von Fonds werden immer auf der Basis der Schlusskurse des Vortages berechnet. Die Kursveränderungen am Freitag sind deshalb erst im Fondspreis am Montag enthalten. Den haben wir auch noch nicht, aber unsere eigene Preiskalkulation zeigt, dass wir bisher gut unter der Brexit-Schockwelle durchgetaucht sind.
Wie geht es weiter: …
Der seit 2009 in Kraft befindliche EU-Lissabon-Vertrag regelt in Artikel 50, dass jedes Land aus der EU austreten kann. Die Bürger des United Kingdom haben der Regierung durch das Referendum den Auftrag erteilt, dieses Verfahren in die Wege zu leiten und das für den notwendigen Austritt erforderliche Abkommen auszuhandeln. Ohne Abkommen kein Austritt. Das EU-Parlament und der Europäische Rat müssen zustimmen und das austrittswillige Land natürlich auch. Grundsätzlich finden zwei Jahres nach Beginn des Verfahrens die EU-Verträge auf das austretende Land keine Anwendung mehr.
…langsam!
Premierminister Cameron erklärte, dass er noch bis Oktober im Amt bleibt. Das Austrittsschreiben an die EU will er aber nicht mehr abschicken. Da könnte man folgern, das vor November gar nichts passiert – und ob man sich auf ein Abkommen einigen kann, dass auf beiden Seiten die notwendigen Mehrheiten findet, bleibt abzuwarten.
Dritter Fall: Drehtür à la Tsipras
Können Sie sich noch erinnern, wie er es gemacht hat? Genau weiß ich es nicht mehr, aber zwei Volksabstimmungen waren es, mit völlig unterschiedlichem Inhalt und am Ende ist Herr Tsipras Ministerpräsident geblieben und Varoufakis ist Dinner-Speaker. Cameron geht wohl den Weg von Varoufakis und Boris Johnson läuft sich ja schon seit Wochen warm.
Angesichts der schon heute gerade auch von Johnson zu hörenden Rückruderargumente kann es durchaus sein, dass das ausgehandelte Abkommen am Ende Regelungen enthält, die die britische Regierung ohne eine weitere Volksbefragung nicht in Kraft setzen will.
Dann gäbe es eine neues Referendum. Ausgang natürlich offen, aber es ist zu erwarten, dass in diesem Fall deutlich moderatere Töne angeschlagen werden.
Prognose
Der Brexit ist da.
Auf Global-macro-Soros-Basis ist die Situation für uns Normalsterbliche schwer einzuschätzen. Und der Fall Sika zeigt, dass es durchaus sein kann, dass neue Akteure auftreten, die eine völlig neue Wendung geben können.
Unabhängig davon ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass nach anfänglichen Turbulenzen die Rückkehr zum Geschäft erfolgt. Diejenigen, deren Hauptabsatzmarkt nicht UK ist, machen ihre Geschäfte einfach weiter. Und Firmen, die seit Jahrzehnten in den weltweiten Nischen zuhause sind, werden am Ende wenig von der ganzen Sache merken. Die Firmen in unserem Fonds sind im Schnitt mehr als 80 Jahre alt, ein Drittel der Firmen ist älter als 100 Jahre. Diese etablierten Institutionen haben schon viele und größere Krisen überlebt, als den Brexit. Und der Fall Sika zeigt: Unsicherheit und Streit verhindern Kursanstiege nicht, wenn das Geschäft läuft.
Anders gesagt: die Chancen für Stockpicker sind größer, als für Investoren die einfach nur mit dem Lemminge-Schwarm kaufen, was gerade zufällig in einem Index ist und dann Schlaftabletten nehmen – obwohl Kostolany das so, wie es oft geschrieben wird, nie gesagt hat!
Einen Sieg für das deutsche Team heute und für die Vernunft in Europa wünscht
Georg Oehm